348 Altes Porzellan - Teil 1
956 Ansicht Rückseite.
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Hochbedeutende Prunkvase
mit Schlangenhenkeln und Pâte-sur-pâte-Malerei
Über hochgezogenem, profiliertem Rundfuß mit Nodus gedrückt-ovoider
Korpus mit gerundeter Schulter, in eingezogenen Hals und weit ausschwingenden
Rand übergehend. Seitliche Henkel in Gestalt eines Schlangenpaares,
am Schulteransatz aus den Mäulern von großen Löwenkopfmaskaronen
emporsteigend und sich zum Rand hin spiralförmig windend.
Kobaltblauer Fond. Auf der Schauseite goldgerahmte Reserve mit mythologischer
Szene eines Kentauren mit Mädchen, die „Entführung der Dejanira
durch Nessus“ nach Ovids Methamorphosen darstellend. In Weiß, als fein
erhabenes Relief aufgetragene Pâte-sur-pâte-Technik auf seladonfarbenem
Fond. Rückseitig schwebender Putto mit Weinranke. Umlaufend reiche,
historistische Ornamentik aus Akanthusrollwerk, stilisierten Anthemien-, Kymation
und Palmettenfriesen sowie weiblichen Maskaronköpfen in teilw.
radiertem Gold und Platin, akzentuiert mit kleinen Blumen- und Früchtegebinden
sowie ausgefüllten Fondflächen in polychromer, leicht erhabener
Emailmalerei. Entw. Ernst August Leuteritz, um 1860. Modell-Nr. E 184.
Schwertermarke. H. 49 cm.
Leuteritz‘ Entwurf zu diesem Vasentypus präsentierte die Meissener Manufaktur erstmals auf
der Pariser Weltausstellung 1867. Sie besticht vor allem durch die ausdrucksstark modellierten
Löwenköpfe, die in ihren zuschnappenden Mäulern die scheinbar aufschreienden
Schlangen halten. Diese Prunkvase vereint in gekonnter Weise verschiedene Dekortechniken,
die im 19. Jh. auf Porzellan beliebt wurden und die Art der Porzellangestaltung
maßgeblich beeinflussten. Die erstmals auf der Londoner Weltausstellung im Jahr 1851
von der Manufaktur Sèvres vorgestellte Pâte-sur-pâte-Technik ist eine Schlickermalerei,
bei der flüssige Porzellanmasse mit dem Pinsel in mehreren, durchscheinenden Schichten
auf bereits farbig angelegte Fondfarben aufgetragen, dann glasiert und gebrannt wird.
Der sich ergebende Reliefcharakter ruft einen Cameo-Effekt hervor und erinnert so an
fein geschnittene Kameen, die aus einem Schmuckstein herausgearbeitet werden. Der
Sèvres-Dekormaler Marc Luis Solon (1835 – 1913) war Meister auf diesem Gebiet. Er
emigrierte um 1870/71 nach England, wo er sich in der Porzellanmanufaktur Minton
in Stoke-on-Trent ganz und gar der Arbeit mit der Pâte-sur-pâte-Technik widmete. In der
Manufaktur Meissen war es der Chemiker Dr. H. Heintze, der diese Technik, um 1878,
auf Porzellangefäßen umsetzte. Die Manufaktur präsentierte einige Arbeiten dieser Art
auf der Weltausstellung 1893 in Chicago, darunter den sog. „Juwelenschrank“, eine als
Gesamtkunstwerk aus verschiedenen Materialien gefertigte Schmucktruhe nach Entwurf
des Manufakturisten Ludwig Sturm mit eingelegten „Pâte-sur-pâte“- Porzellanplatten, womit
Meissen in Chicago großes Aufsehen erregte. Kostbar anmutend ist auch der detailreich
ausgeführte, sich kontrastreich vom kobaltblauen Grund abhebende Ornamentdekor in
der Art der sog. Juwelenporzellane. Durch das Auftragen von farbigem Email, Gold und
Platin wird der Eindruck von exquisiten Goldschmiedearbeiten mit kostbarem Edelstein- und
Perlenbesatz sowie kleinen Diamanten vermittelt.
Vgl. Jedding, Meißener Porzellan, S. 90, Illustrierter Katalog der Pariser Industrie-Ausstellung
von 1867, S. 4.
An exceptional porcelain vase with handles modelled as winded snakes, finely painted
with a mythological scene of the rape of Deianira by the centaur Nessus in pâte-sur-pâte
with rich „jewelled“ decoration in gold, platinum and enamel colours. Crossed swords mark.
Meissen. Um 1900.
€ 120.000,–